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07.05.2012 | Kolumnen | Freizeitparks

Kolumne: Böse Nachbarn?


In der Nähe eines Freizeitparks zu wohnen und im Garten das jauchzende Gekreisch der Menschen zu hören, die sich gerade bei einer Achterbahnfahrt in die Tiefe hinab stürzen, ist für viele Fans eine schöne Vorstellung. Leider wird dieses Faible für deutlich hörbaren Spaß nicht von allen Mitmenschen geteilt – fast jeder größere Park in Deutschland kann von Anwohnerproblemen ein Liedchen singen. Nun hat es gerade aktuell die britische Vorzeige-Destination Alton Towers getroffen.

Das Rentnerehepaar Stephen and Suzanne Roper hat vor wenigen Tagen eine Klage gegen den zur Merlin-Gruppe gehörenden Freizeitpark in Staffordshire durchgesetzt, bei dem sie fordern, dass einige Attraktionen von Alton Towers umgesetzt oder komplett geschlossen werden sollen. Ihr Häuschen, das die älteren Leute schon im Jahre 1968 bezogen hatten, liegt rund 100 Meter entfernt vom Eingang des Parks und somit sicherlich auch in einem lärmrelevanten Bereich. Sicherlich gab es die 1814 gegründeten Alton Towers schon weitaus länger und die Argumentation aus Fansicht basiert auf der Annahme, dass man sich bei dem Kauf des Hauses des Lärms, den ein Freizeitpark nun einmal verursacht, hätte bewusst sein müssen. Allerdings steht diese Form der Auseinandersetzung auf wackligen Füßen. 1968 gab es in Alton Towers noch keine einzige Achterbahn – ob man also zu diesem Zeitpunkt damit rechnen konnte, dass sich der frühere botanische Garten mit seiner Burgruine zum beliebtesten Ausflugsziel Großbritanniens entwickeln würde mitsamt zahlreichen Fahrgeschäften, die den Gästen den Magen verdrehen, ist zumindest fraglich. Heute drehen dort bereits acht Achterbahnen ihre Runden, es gibt Wildwasserfahrten, Karussells, Musik und Feuerwerk – dies kann bei der Beurteilung, ob das Rentnerehepaar zurecht klagt, nicht unberücksichtigt bleiben. Davon abgesehen dürfte sich der Wert des Hauses und des Grundstücks durch die direkte Nähe zu einem Freizeitpark eher verringert als erhöht haben – neben der Lärmbelästigung hatten die Ropers also auch finanzielle Einbußen.

Doch bei allem Verständnis für die Situation: Man darf stark davon ausgehen, dass auch das ältere Ehepaar Lärm produziert. Sie fahren vermutlich ein Auto und bewegen sich auf Straßen, die im Jahre 1968 vielleicht auch noch nicht existierten oder so stark frequentiert sind wie heute. Vielleicht fliegen sie ja auch mehrmals im Jahr in Urlaub, starten und landen auf modernen Großflughäfen, die seit 1968 neu errichtet oder ausgebaut wurden. Mit anderen Worten: Sie nutzen aller Wahrscheinlichkeit eine Infrastruktur, die wiederum für viele andere Menschen an ihrem Wohnort eine Lärmbelästigung bedeutet, die vor über 40 Jahren vermutlich auch noch nicht absehbar war.

Was wäre, wenn ...?

Dies macht die Gesamtsituation natürlich nicht besser, aber die Frage muss erlaubt sein, wie es wohl um die Volkswirtschaften in Europa bestellt wäre, wenn man schon vor über 50 Jahren damit begonnen hätte, jede Form der Veränderung, die einen Einschnitt in die gewohnte Umgebung bedeutet, vor Gericht zu verhindern – so wie es bisweilen heutzutage üblich scheint? In Deutschland kommt erschwerend dazu, dass ein Freizeitpark zwar oft und gerne besucht wird, aber trotzdem in der öffentlichen Wahrnehmung aufgrund einer nicht abzusprechenden "Künstlichkeit" in Zeiten eines kollektiven ökologischen Wandels ein ausbaufähiges Image hat – es dürfte kaum einen größeren Park hierzulande geben, der sich nicht gegen die juristischen Angriffe von Anwohnern und deren Unterstützern wehren muss. Bei einem geplanten Autobahn-Ausbau findet man erfahrungsgemäß mehr Befürworter als für die Erweiterung eines Freizeitparks.

Obwohl ich Stephen and Suzanne Roper durchaus verstehen kann und ihr Gang vor Gericht ein basisdemokratisches Recht ist, bleibt für mich die Frage, was hier höher zu bewerten ist: Das Recht des Einzelnen auf Ruhe oder das Recht der Allgemeinheit auf ein vielfältiges Freizeit-Angebot? Ich bin froh, diese Entscheidung nicht treffen zu müssen, aber wenn ich auf meinem Balkon sitze, das Kindergeschrei aus dem etwa zwei Kilometer entfernten Freibad höre und mich im ersten Moment darüber ärgere, denke ich kurz daran, dass meine kleine Nichte dort gerade auch im Wasser plantschen könnte und blende den Lärm einfach genauso aus wie den täglichen Straßenverkehr vor meiner Haustüre, das morgens nervige Vogelgezwitscher oder die startenden und landenden Flugzeuge am wolkenlosen Himmel über mir. Das wäre zumindest auch meine Empfehlung für das Ehepaar Roper und seine Artgenossen in ganz Europa …


Bitte beachten
Die Texte der Kolumnen-Autoren sind deren persönliche Meinung und decken sich nicht zwangsläufig mit der Meinung der Redaktion Parkscout.

Autoreninfo Mike Vester

Mike Vester beschäftigt sich bereits seit seiner Jugend mit dem Thema Freizeitparks / Kirmes und gehört heute zu den wichtigsten Autoren der Parkscout-Fachredaktion. Sein Hang zu Polemik und Übertreibungen ist zwar legendär, aber wer genau hinhört, merkt schnell, daß er mit seinem Motto "zeitlos, stillos, geschmacklos" zwischen den Zeilen immer genau den Punkt trifft. Der frühere Kleinkunst-Texter ist überzeugter Fan von allem, was mit dem Thema "Disney" zu tun hat und läßt dies auf seine liebenswert schrullige Art auch sicherlich öfter in seine Kolumne einfließen. In diesem Sinne also: Immer vester druff...

© parkscout/MV

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